Samstag, 15. Juni 2024

Angst – Suffering from Success

Als ich die Mehrerau Bregenz, eine christliche Privatschule, besuchte, hieß es am Aschermittwoch in der Kirche immer Folgendes:
"Bedenke Mensch, dass du aus Asche entstanden bist und zu Asche zurückkehren wirst."

Mit diesem Satz streute ein Priester etwas Asche auf die Köpfe jedes seiner Schäfchen.
Dies passte für mich zunächst wunderbar zusammen, als eines anderen Tages mein Deutschlehrer uns im Rahmen der Literaturgeschichte den Barock vorstellte.

Die Leitsätze des Barocks waren:
Carpe diem, Memento Mori und Vanitas
(Nutze den Tag, denke daran, dass du einmal sterben wirst und Vergänglichkeit)

Sogleich verknüpfte ich in meinem jugendlichen Denken, die Demut, die beiden Aspekten scheinbar gleichermaßen innewohnte, mit einer Empfehlung zum Nachhaltigkeitsgedanken verbunden mit Vernunft und Nächstenliebe.

Aber weit gefehlt, denn der Barock leitet aus seinen Prinzipien nicht Achtsamkeit und Ehrfurcht vor dem Leben ab, sondern das genaue Gegenteil → Materialismus, Verschwendung, Zelebrierung, Größenwahn, Egozentrik, Überindividualisierung → kurz um: YOLO.
Im Endeffekt also auch all die Dinge, die auch dem modernen Kapitalismus inne wohnen.
Ernüchtert musste ich erkennen, dass Kapitalismus nicht das Gegenteil des Barock war, sondern dessen tiefste Verinnerlichung.

Das größte Problem des Kapitalismus ist jedoch nicht die Gier oder die Verschwendungssucht, sondern die Angst aus der Beides entsteht.

Und hier haben wir den gemeinsamen Nenner beider Prinzipien:
Die Angst davor zu sterben, veranlasst uns das Leben unentwegt zu feiern. Konsumiere jetzt, feiere jetzt, belohne dich jetzt! Warum warten? Warum nachdenken? Das Leben ist zu kurz!

Es handelt sich um genau die selbe Angst, die dem Gedanken an die Endlichkeit des Daseins entspringt, wenn der Priester am Aschermittwoch Asche auf die Häupter streut. Jedoch sind die Interpretationen völlig gegensätzlich.

Für den Barock und den Kapitalismus lassen sich durch diese Angst hervorragend übersteigerte Bedürfnis-Pyramiden rechtfertigen.
Dies lässt sich auf viele Bereiche umlegen.
Generell lässt sich behaupten, dass der größte Teil von Allem was in unserer Welt unnatürlich und verschwenderisch ist, aus der Angst geboren ist.
Eine Emotion, die für das frühste Überleben unserer Spezies die wichtigste überhaupt war….die uns unsere Bewusstseinswerdung, durch rechtzeitige Flucht vor Gefahren, überhaupt erst ermöglicht hat.
Die so erfolgreich war, dass sie uns an einen Punkt führte, an dem diese überlebenswichtige Emotion zu unserem Untergang wurde.
Der Angst geht es ähnlich wie DJ Kahled, sie ist das Opfer ihres eigenen Erfolges.

Aber beschäftigen wir uns einmal spezifischer mit der Angst:
Nehmen wir die klein-kindliche Angst vor dem Einschlafen her. Im Kern ist diese Angst eigentlich die Angst vor dem Nicht Bewusstsein. Und im Endeffekt die Angst vor dem Tod, dem Beginn permanenten Nicht Bewusstseins - zu diesem Schluss kann man natürlich erst im Erwachsenenalter kommen - unter der Voraussetzung von genügend Erfahrung, Logik, Objektivität und Reflexionsfähigkeit.

Die Angst gebärt also Sorgen und von den Sorgen ist es nicht mehr weit zu den Wünschen. Und Wünsche sind die Väter der Gedanken.

So kam es, dass sich an statt der Naturglauben, die den Tod als Teil des Ganzen verstanden und akzeptierten, die zufriedener und nachhaltiger lebten, der Kapitalismus durchsetzte - mit dem Dogma des ewigen Wachstums.
Dem Versprechen, dass dem Tod auf gesellschaftlicher Ebene sein Schrecken genommen wird – im Endeffekt der Versuch den Umstand der Endlichkeit des Einzeln zu leugnen. Wohl im Sinne der besseren Vermarktbarkeit.
Im Endeffekt ist Kapitalismus der bislang gelungenste Versuch des „Handelns mit der Angst“ oder auch der „Markteinführung der Angst“ – Türöffner für Raubbau, Handlungsunfähigkeit und Manipulation.

Aber der Wunsch nach Ewigkeit, nach Gewissheit, nach Sicherheit lässt sich auch schon früher ablesen:
an den Pyramiden in Ägypten.
An der Unsterblichkeit der antiken menschenähnlichen Götter.
Oder ganz einfach daran wie furchtbar wichtig sich Menschen nehmen können.
All das weil sie Angst vor dem Tod haben.
Angst davor, dass Nichts von Ihnen übrig bleibt, wenn sie sterben, weswegen sie anderen Menschen im Gedächtnis bleiben wollen, um weniger Angst zu haben.
Weniger Angst davor irgendwann keine Angst mehr empfinden zu können.
Generell weniger Angst davor irgendwann nicht mehr empfinden zu können, nicht mehr sein zu können.
Die gesamte Menschheitsgeschichte ist eine einzige Gruppentherapie.

Mit der zentralen Frage „Wie gehe ich mit Kontrollverlust um?“
Wie kann der Mensch akzeptieren, dass sich Dinge seinem Einfluss entziehen?
Dass es Zeiten geben wird, in denen er nicht nur keine Kontrolle mehr haben wird, sondern auch keinerlei Möglichkeit jemals wieder versuchen zu können mehr Kontrolle zu bekommen.

Die unbewusste Denke ist Folgende:
Momentan habe ich zwar wenig Kontrolle, aber ich könnte jederzeit Versuche unternehmen, mehr Kontrolle zu bekommen – Dies resultiert in gefühlter Selbstbestimmtheit. Wenn ich Tod bin geht das nicht mehr.
Darauf bauen weitere Emotionen und Handlungsweisen.

Die permanent unterdrückte Angst bricht aber auch immer wieder mal aus, dies gestaltet sich so:
OMG, OMG, PANIK, wir werden alle sterben!
Dies kann mitunter absude Situationen herbeiführen, die übers Ziel hinausschießen.

Beispielsweise zum Demografischen Wandel oder genauer gesagt die bewusste Nicht- Adressierung des demografischen Wandels.

Oder beispielsweise zum unbändigen Verlangen unentwegt konservative Wirtschaftsparteien zu wählen und so nebenbei künftige Generationen ebenfalls in Panik zu versetzen.

Die haben nämlich noch zu wenig Angst, weil sie zu wenig Lebenserfahrung haben, deswegen zerstören wir die Umwelt, damit sie schon früher die gleiche Angst wie wir erleben, damit sie uns verstehen und damit sie uns schneller ähnlich werden.
Denn dass andere uns ähnlich sind beruhigt uns irgendwie und lindert unsere Angst…Dann sind wir weniger allein und fühlen uns geborgen.
Weil wir dann sicher sein können, dass sie die selbe Angst wie wir haben und wir so entspannter sterben können.

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Du musst nicht nach Oben schauen und alle können weiter in Urlaub fliegen, denn für jede gekaufte Aktie pflanzen wir einen Baum! Versprochen!
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Befürchte es gibt noch ungeklärte Fragen:
Was ist besser, Vorsicht oder Nachsicht?
Ist Angst eine prätraumatische Belastungsstörung?
Ist Angst ein Grundbedürfnis?


Mit freundlichen Grüßen,

Chewie.

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